Im Juli 1830 - also vor jetzt 190 Jahren - ging in Albury auf dem Landsitz von Hernry Drummond die fünfte und letzte Albury-Konferenz zu Ende. Nachdem die erste dieser Zusammenkünfte im Jahre 1826 stattgefunden hatte, traf man sich in den Folgejahren jeweils im Sommer, um über theologische fRagen zu beraten.
Gute Quellen sind der von Reinhard Ruttorf und Heinz Helut Bussemas erstellte Beitrag, der im Jahre 1996 in 2 Folgen in der Zeitschrift "Unsere Familie" asbgedruckt worden ist.
Außerdem finden man in der Edition Albury auf der Homepage des Netzwerks "Apostolische Geschichte" viele interessante Bücher aus der Katholisch-Apostolischen Bewegung, von denen einige auch bei diesem Artikel unter Dokumente zu finden sind.
Schwerpunkt des Netzwerktreffens 2020 vom 18. bis 20 September 2020 in Krumbach/Schwaben ist eine intensive Beschäftigung mit unseren Wurzeln. Interessierte können sich hier anmelden.-
Die Albury-Konferenzen
(erschienen in: "Unsere Familie", 56. Jg., Nr. 22. v. 20.11.1996, S. 43 – 46 und Nr. 24 v. 20.12.1996, S. 44 - 47)
Zu Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigten sich in England etliche Christen mit den fast vergessenen Prophezeiungen der Heiligen Schrift. Der äußere Anlass dieser Neubesinnung waren die Auswirkungen der Französischen Revolution, die im Jahr 1789 begann. Man sah in den sich überstürzenden Ereignissen - Morde, Grausamkeiten, Verrat, Kampf gegen das Christentum - Zeichen der Endzeit, so wie sie in den prophetischen Büchern der Heiligen Schrift benannt werden.
Vor allem standen die Offenbarung des Apostels Johannes und das Buch des Propheten Daniel im Mittelpunkt der Betrachtungen. In diesem Zusammenhang wurde auch an die Verheißung der Wiederkunft Christi – Jahrhunderte lang kaum beachtet - erneut erinnert.
Zu diesen nachdenklich gewordenen Menschen gehörte der anglikanische Geistliche Lewis Way (1772 - 1840), der im Jahre 1823 mit den ‘Briefen an Basilikus’ ein Buch über die Hoffnung der Kirche veröffentlichte, das allerdings ohne größere Reaktion in der Christenheit blieb. Lewis Way und einige Gleichgesinnte wünschten sich jedoch, einen Gedankenaustausch mit entsprechend Interessierten über diese wichtigen Themen der Christenheit zu pflegen.
So trafen sich am 1. Juni 1826 sieben Männer - die fünf Geistlichen E. Irving, W. Marsh, H. McNeile, J. H. Stewart, J. White sowie der Schriftsteller J. H. Frere - im Londoner Haus von L. Way in Berners Street No. 21. Nach diesem ersten Gespräch vereinbarten sie regelmäßige Treffen, bei denen ihre Ansichten ausgetauscht werden sollten. Man hoffte, auf diese Weise mehr Erkenntnisse über die Weissagungen zu erhalten, vor allem die über die Wiederkunft Jesu. Sie kamen während des Sommers 1826 mehrfach in London zusammen, spürten aber bald, dass diese hektische Großstadt wohl nicht der rechte Ort für ihre ernsten und forschenden Gespräche war.
Der 40jährige Bankier Sir Henry Drummond (1786 - 1860) gehörte auch zu den Männern, denen es sehr am Herzen lag, dem weit verbreiteten Unglauben zu begegnen. Er lud auf Anregung von Lewis Way, mit dem er befreundet war, eine Reihe von interessierten Geistlichen und Laien für den Advent 1826 in sein Landhaus nach Albury Park ein, damit man eine ganze Woche lang über die großen Prophezeiungen der Heiligen Schrift sprechen konnte. Viele der Eingeladenen waren bereits durch Schriften über die biblischen Verheißungen hervorgetreten.
Zu diesen gehörte auch der anglikanische Geistliche James Haldane Stewart (1776- 1854). Er hatte im Januar und Mai des Jahres 1821 zu Gebetsversammlungen für die erneute Ausgießung des Heiligen Geistes aufgerufen. Seine Schrift mit dem Titel ‘Hints for a General Union of Christians for Prayer for the Outpouring of the Holy Spirit’ (Anregungen für einen allgemeinen Bund der Christen zum Gebet um die Ausgießung des Heiligen Geistes) erreichte innerhalb von vier Jahren in England, Schottland und Irland eine Gesamtauflage von über 332.000 Exemplaren, während die Broschüre mit dem Titel ‘Thoughts on the Importance of Special Prayer for the General Outpouring of the Holy Spirit’ (Gedanken über die Wichtigkeit eines besonderen Gebetes für die allgemeine Ausgießung des Heiligen Geistes) in einer Auflagenhöhe von fast 90.000 Exemplaren vertrieben wurde (siehe dazu Reichsgottesgeschichte Band 1, Seite 131 - 133).
In dieser ersten Albury-Konferenz schloss man sich dem von Stewart empfohlenen Weg - gemeinschaftliches Gebet um die Ausgießung des Heiligen Geistes - von ganzem Herzen an. Henry Drummond bemerkte dazu: "Möchten doch die großen Bemühungen Stewarts über die Notwendigkeit des Gebets um die Ausgießung des Heiligen Geistes von reichem Erfolg gekrönt sein. Ich erwarte die größten Segnungen für die Kirche, wenn man ernstlicher darum beten würde."
Diese Männer hatten also die Wiederkunft Jesu als wichtigste Verheißung der Bibel erkannt und verkündigten sie unermüdlich. Sie mussten aber betrübt feststellen, wie diesbezüglich gerade bei den ‘Gläubigen’ Ignoranz vorherrschte. Das Wachhalten oder Beleben dieser Verheißung wurde vom Großteil der Theologen abgelehnt.
Umso mehr fühlten sich Henry Drummond und Gleichgesinnte verpflichtet, für diese große Hoffnung der Kirche Christi mit allen Kräften einzutreten. Während der geplanten Konferenz sollten die Teilnehmer die Ansichten zu den Prophezeiungen möglichst zur Übereinstimmung bringen, um dann ein verstärktes Zeugnis davon ablegen zu können.
Mehr als 40 Männer aus verschiedenen Denominationen (Glaubensrichtungen) und Ständen folgten der Einladung nach Albury. Die bekanntesten unter ihnen waren Edward
Irving, James Haldane Stewart, John Owen Tudor, Dr. John Bayford und James Hatley Frere. Der damals sehr bekannte Judenmissionar Dr. Joseph Wolff, der erst kurz zuvor von einer seiner vielen Orient-Reisen zurückgekehrt war, nahm ebenfalls teil. Der 31jährige Ortsgeistliche von Albury, Hugh McNeile, hatte die Leitung der Konferenz.
Die Teilnehmer trafen Ende November 1826 in Albury ein. Die Ortschaft hatte damals etwa 1000 Einwohner. Sie liegt etwa 50 Kilometer südwestlich von London in der Grafschaft Surrey. Die nächstgrößere Stadt ist das elf Kilometer weiter westlich gelegene Guildford. Südlich der Hügel, die sich zwischen Guildford und Dorking erstrecken, befindet sich ein schönes Tal, das von einem kleinen Fluss durchzogen wird. Dort hatte Sir Henry Drummond im Jahre 1819 einen Landsitz gekauft. Die den Flusslauf begleitenden Hügel waren malerisch mit Bäumen, Sträuchern und Wiesen bedeckt. Dazwischen befanden sich kleine Waldungen mit schottischen Tannen. Man durfte die ganze Gegend mit Recht als eine der hübschesten Stellen Englands bezeichnen. Drummonds Landschlößchen Albury Park war ein sehr geschmackvolles Gebäude, das sich gut in das Tal einfügte. In der Nähe des Hauses stand die alte Dorfkirche von Albury. Zum Landsitz gehörte ein großer Park mit uraltem Baumbestand, den die Zeitgenossen besonders lobten. Man konnte kaum einen passenderen Ort für jene Versammlung finden, bei der außer einem festen Glauben an Gottes Walten die Gelegenheit zum Nachdenken und zur Ruhe eine wichtige Rolle spielte. Viele kleine Wege führten aus dem Park in die Umgebung. Dort konnte man alleine oder in kleinen Gruppen spazieren gehen.
In dieser herrlichen Umgebung fand also die erste Albury-Konferenz statt. Sie begann am Donnerstag, dem 30. November 1826, und dauerte bis zum Freitag, dem 8. Dezember 1826, also etwas mehr als eine Woche.
Folgende Themen wurden an den einzelnen Tagen behandelt:
1) Die Lehre der Heiligen Schrift über die ‘Zeiten der Heiden’
(Lukas 21, 24 u. Römer 11, 25)
2) Über die Pflichten der Geistlichen und christlichen Laien, die daraus erwachsen
3) Über die gegenwärtige und zukünftige Lage des Volkes der Juden
4) Über die Pflichten in Bezug auf die Juden, die daraus entstehen
5) Über die prophetischen Visionen Daniels und der Offenbarung Johannes
6) Über die biblischen Weissagungen hinsichtlich der Wiederkunft Christi
7) Über die Aufgaben der Kirche, die sich daraus ergeben.
Eine wichtige Rolle bei dieser Konferenz spielte auch das Buch des chilenisch-italienischen Jesuiten Don José Manuel de Lacunza y Díaz (1731 - 1801), das 1812 in Cadiz mit dem Titel ‘La Venida del Mesías en Gloria y Magestad’ (Das Kommen des Messias in Kraft und Herrlichkeit) im Druck erschienen war.
Der schottische Geistliche Edward Irving hatte dieses wegweisende Werk in diesem Jahr (1826) kennen gelernt und die Übersetzung aus dem Spanischen ins Englische fast abgeschlossen, als er von Henry Drummond zur Albury-Konferenz eingeladen wurde. So ist es verständlich, dass dieses Buch den Versammelten viele Impulse bei der Erforschung der biblischen Verheißungen gab.
Es existieren mehrere Augenzeugenberichte über den Verlauf dieser ersten Albury-Konferenz. So gibt Dr. Joseph Wolff in seinem Buch ‘Travels and Adventures’ (Reisen und Abenteuer) die Hauptthemen der Tagung und die Ansichten der wichtigsten Personen an. Henry Drummond hat die Ergebnisse in seinen ‘Dialogues on Prophecy’ (Gespräche über die Prophezeiungen) veröffentlicht.
Das anschaulichste Bild gibt Edward Irving in einer sechsseitigen ‘Nachschrift’, die er dem 138 Seiten langen Vorwort zum Lacunza-Buch angefügt hat. Er schildert, mit welch großem Ernst und Eifer diese Männer an die biblischen Verheißungen herangingen. "Das waren alles Fragen", schreibt Irving, "in denen wir hilflos waren wie Seeleute auf offener See ohne Karte, Kompass und Kurs.“
Nicht zwei der Teilnehmer stimmten anfangs in ihren Ansichten völlig überein. Darum ist das Ergebnis um so wunderbarer: Obwohl alle einander mehr oder weniger fremd waren, aus mindestens fünf unterschiedlichen Religionsgemeinschaften kamen und unter verschiedenen geistigen Einflüssen standen, fanden sie doch Wege, um ihre Ansichten in den wesentlichen Punkten einander anzugleichen und weitgehend zur Übereinstimmung zu bringen. Sie verfuhren an den sechs Konferenztagen nach folgendem Programm:
Es wurden täglich drei Sitzungen abgehalten:
- die Vorbereitungssitzung vor dem Frühstück,
- die Hauptsitzung zwischen Frühstück und Mittagessen und
- die Abschlusssitzung am Abend.
Jeden Morgen kamen die Teilnehmer um 8 Uhr zusammen. Zunächst sprach ein Geistlicher das Gebet und bat besonders um Weisheit, Geduld und Erkenntnis. Dann folgte ein kurzer Vortrag, den ein zuvor bestimmter Teilnehmer hielt, wobei er sich nur auf Aussagen der Bibel stützen durfte. Dieser Vortrag sollte in das Thema des Tages einleiten. Man hatte somit einen Leitfaden für die folgenden Sitzungen.
Alle Teilnehmer saßen dabei am großen Tisch in der Bibliothek, um sich Notizen machen zu können.
Ab 9 Uhr folgte eine zweistündige Pause, um Zeit für das Frühstück und weitere Überlegungen zu haben. Jeder sollte sich sammeln können, um in der folgenden Hauptsitzung nach reiflicher Überlegung und fundiert sprechen zu können, nicht nach augenblicklicher Meinung oder momentanen Eindrücken.
Um 11 Uhr kamen alle zur Hauptsitzung wieder zusammen. Nach einem kurzen Eröffnungsgebet fragte der Konferenzleiter Hugh McNeile jeden der Teilnehmer nach seiner Ansicht zu dem Thema des Tages. Entstanden sprachliche Probleme, wurde der Gelehrte Dr. Joseph Wolff zu Rate gezogen. Er war ein gebürtiger Jude, der zahlreiche Sprachen
- auch des Orients - beherrschte. Die Hauptsitzungen dauerten vier bis fünf Stunden, in denen jeder seine Auffassung darlegen durfte. Den Abschluss bildete ein Dankgebet, das ein Geistlicher sprach.
Nach dem Mittagessen zwischen 15 und 16 Uhr folgte eine längere Pause, die zum Erholen und Nachdenken genutzt werden konnte.
Um 19 Uhr fand die Abschlusssitzung des Tages statt, in der Resultate aus dem Thema des Tages gebildet wurden. Nun saßen alle in Sesseln am Kaminfeuer in der Bibliothek. Es konnten auch Fragen oder Probleme, die während des Tages aufgetaucht waren, besprochen werden. Die Fragen wurden an den gerichtet, der am Morgen in das Thema eingeführt hatte. Jeder, der Stellung dazu nehmen wollte, wurde angehört. Die Schlusssitzung endete nach vier Stunden um 23 Uhr mit einem Choral und einem abschließenden Abendgebet.
Diese anstrengende Tagesordnung - bis zu 10 Stunden Sitzung pro Tag! - der ersten Albury-Konferenz wurde auch bei den folgenden Konferenzen beibehalten. Schriftführer während der Konferenzen war übrigens der Gastgeber, Sir Henry Drummond.
Edward Irving schrieb über diese erste Konferenz begeistert: "So verbrachten wir sechs Tage unter dem gastfreundlichen Dach von Albury Park, innerhalb des Klanges der Kirchenglocken und umgeben von der herrlichsten Natur. Aber schöner war der Platz in der Bibliothek, wo ich die Diener Gottes traf, die klugen Jungfrauen, die mit Öl in ihren Lampen auf den Bräutigam warteten. Am schönsten war aber das kleine Zimmer, wo ich mich im Geiste mit Gott im Gebet verband, dessen Sohn ich bald im Fleisch zu sehen hoffe.
O Albury! Wie hoch bist du geehrt durch den Herrscher und König des Himmels, dessen Kommen wir täglich erwarten. In deinen ruhigen Hallen suchten und fanden seine Diener solche Harmonie gesegneter Erwartung. Ihre Herzen füllten sich mit lebhafter Freude, als ob sie die Herrlichkeit des Herrn auf der weißen Wolke gesehen hätten oder die silberhelle, jubelnde Posaune gehört hätten, die Seine Ankunft auf Erden durch alle Himmel erschallen lassen wird. Wir erhielten - zurückgezogen lebend wie auf einem einsamen Wachtturm - verschiedene Botschaften des kommenden Tages seiner Ankunft: Einmal, damit wir unsere Herzen mit furchtloser Entschlossenheit stärkten, um alles für den zu ertragen, der für unsere Schuld die Nacht des Todes ertrug; dann aber auch, um unsere Herzen mit den Gedanken und der Freude zu erquicken, die den gleichgültigen und ungetreuen Dienern unbekannt sind, die nicht mehr an die noch ausstehende Erfüllung der Verheißung Deines glorreichen Wiederkommens glauben, o Herr! Um meinetwillen und meiner Brüder willen will ich beten: Möge der Abglanz dieser heiligen Stunden niemals von unseren Seelen weichen, bis Du, unser glorreicher König, Deinen Platz im Himmel verlässt und den Erzengel aufforderst mit seiner silberhellen, jubelnden Posaune Dein Wiederkommen auf Erden durch alle Himmel anzukündigen!" Irving fügte hinzu: "So singt meine Seele, wenn ich an die schönsten Erinnerungen meines Lebens denke."
Dann fasst er die Ergebnisse dieser ersten Albury-Konferenz wie folgt zusammen:
"Wir erlangten gemeinsam den Glauben, dass die gegenwärtige Haushaltungsperiode des Evangeliums vergleichbar ist mit den ‘Zeiten der Heiden’, wie sie in der Bibel beschrieben wird: dass die Wiederherstellung der Juden als Volk eine neue Ära der Kirche und der Welt einleiten wird; dass diese Haushaltungsperiode als Gnadenzeit Gottes mit großen Gerichten abgeschlossen werden wird und dass der Beginn der letzten Gnadenerweisungen Gottes - vor der Wiederkunft Christi - nahe bevorsteht, ja, vor der Tür steht. Wir meinen, dass mit dem Abschluss der Französischen Revolution die letzte Gnadenzeit für die christliche Menschheit begonnen hat. Schließlich erlangten wir durch unser intensives Studium der Bibel auch darin Übereinstimmung, dass wir - wegen der bevorstehenden Gerichte - eifrig und gläubig nach des Herrn zweitem persönlichen Kommen ausschauen und uns vorbereiten sollen, wenn er die Seinen von den Toten auferwecken wird, um mit ihnen auf Erden zu regieren.
Durch die gewonnenen Erkenntnisse wurden wir gemeinsam dahin geführt, dass jeder einzelne zu äußerster Wachsamkeit verpflichtet ist, mit furchtloser Ausdauer an seinem Platz stehen muss, um alle Menschen zu warnen und ihnen das Evangelium und die Gerechtigkeit Gottes zu verkündigen. Denn der Herr selbst mahnte die Menschen durch die sechste Zornschale der Offenbarung Johannes - unter der wir, wie wir einstimmig alle annehmen, seit der Französischen Revolution leben -, bereit zu sein für die letzte (siebte) Schale seines Zornes.
Kein Konzil, von jenem ersten in der Urkirche in Jerusalem, bis zur heutigen Zeit (gemeint ist das Jahr 1826), scheint mehr vom Geist einer heiligen Gemeinschaft regiert, gelenkt und inspiriert gewesen zu sein, als jene Versammlung in Albury! "
Es wurde nach Abschluss der Konferenz kein offizieller Bericht herausgegeben, damit sich die Kirche nicht herausgefordert fühlen sollte. Sir Henry Drummond hat aber als Schriftführer die Ergebnisse der vor 1830 gehaltenen Albury-Konferenzen in seinen ‘Dialogues on Prophecy’ (Gespräche über die Prophezeiungen) in drei Bänden veröffentlicht. Er berichtete nicht protokollarisch genau, sondern in freier Form und mit erdachten Namen der Sprecher, z. B. Anastasius, Basilicus, Philalethes oder Sophron.
Die Ergebnisse der Albury-Konferenz sprachen sich in der religiösen Welt bald herum, fanden aber kein positives Echo. In verschiedenen Magazinen konnte man darüber lesen, dass die Ansichten der Konferenzteilnehmer ‘neu’, ‘ketzerisch’ oder ‘moderne Erfindungen’ seien.
Edward Irving äußerte seine Enttäuschung über die Teilnahmslosigkeit der Kirche:
"Aber leider: Diese Kirche, der ich meinen Dank wie einer Mutter schulde, gibt leider wenig um die großartige und überwältigende Wahrheit. O Herr, segne diesen zweiten Versuch ihres unwürdigen Sohnes, einige ihrer Theologen, Ältesten, Geistlichen und Mitglieder vom geistigen Schlafe aufzuwecken, wenn es in Deinem Willen ist! "
Irving sah sich selbst vom Herrn auf einen einsamen Wachtturm gestellt, um der Kirche zu verkündigen, was er gehört und gesehen hatte.
Henry Drummond gelang es, für eine zweite Konferenz in Albury in der Adventszeit 1827 einen noch größeren Kreis Interessierter zusammenzurufen. Die Interpretationen der biblischen Prophezeiungen nahmen eine noch bestimmtere Richtung: Das Wiederkommen Jesu und das Tausendjährige Friedensreich standen im Mittelpunkt der Erörterungen.
Bei dieser Konferenz geschah noch etwas Wichtiges, dessen Bedeutung gar nicht so recht erfasst wurde: Der schottische Geistliche Robert Story von Rosneath / Dunbartonshire (Westschottland), ein Freund Irvings, berichtete den Versammelten von ersten Regungen des Heiligen Geistes in seiner Pfarrei, die sich am Gareloch, unweit von Glasgow, befand. Dort lebte in der kleinen Ansiedlung Fernicarry die fromme Tochter eines Pächters, Isabella Campbell. Dieses an Schwindsucht (Lungentuberkulose) erkrankte Mädchen hatte sein schweres Schicksal vorbildlich getragen. Sie hatte auf dem Krankenlager göttliche Visionen und wurde von ihrer Umgebung wie eine Heilige verehrt. Am 1. November 1827 war Isabella gestorben. Ihr Geistlicher, Robert Story, berichtete erstmals von ihren Visionen und ihrer beispielhaften Frömmigkeit.
Nach dem zweiten Treffen in Albury schickte Edward Irving ein Dankschreiben an Henry Drummond, das seine Bescheidenheit und Hingabe widerspiegelte: "Ich wende mich an Sie, als das Haupt einer kleinen und verkannten Schar geduldiger Männer, die der persönlichen Zukunft und Herrschaft Christi entgegensehen und die Welt darüber zu warnen wünschen. Sie haben dieselbe nun zweimal unter ihrem Dach versammelt. Und ich bin gewiss, dass jedes Herz, das den Festgenuss von Weisheit und Erkenntnis gekostet hat, der in jener Vereinigung von Gottesmännern geboten wurde, sich noch lange an seiner Köstlichkeit laben und ihn nie vergessen wird. Oft habe ich mir sagen müssen: Ich werde wohl nie wieder, bis Sein Reich kommt, eine so selige Eintracht, eine so volle Gemeinschaft der Heiligen finden, wie sie uns in diesen Versammlungen zu Albury Park zuteil wurde; und so oft ich dasselbe gegen einen anderen der Brüder äußerte, ist mir von Herzen zugestimmt worden. Ich darf aber von diesem Kreis Ihrer Gäste umso freier reden, als ich mich nie für wert gehalten habe, unter ihre Zahl zu gehören. Denn, was mich betrifft, so bin ich ein ungehobelter, rauer Mensch, nur zum Grenzkrieg tauglich, oder wie mich Gott sonst etwa gebrauchen mag: Holz zu fällen oder Wasser zu tragen für das Heerlager Seiner Heiligen. Trotzdem will ich kämpfen für den König mit den geistlichen Waffen unserer Ritterschaft bis an das Ende und Gott zu verherrlichen suchen in meiner Schwachheit."
Edward Irving kam also in diesen Kreis als Lernender und Forschender, nicht um eine herausragende Rolle zu spielen oder einen bestimmten Einfluss zu nehmen.
Im Sommer 1828 schrieb Henry Drummond einen Brief an Edward Irving und bat ihn um Rat, wen er zur dritten Albury-Konferenz im Advent 1828 einladen solle. Über den Verlauf dieses Zusammenseins wissen wir leider nur wenig. Sie verlief zwar ähnlich segensreich wie die beiden ersten Konferenzen, wurde aber bedauerlicherweise nicht so gut besucht. Später äußerte sich Henry Drummond in einem Brief an Edward Irving enttäuscht darüber, "dass einige Personen des letzten Jahres nicht sehr treu gewesen seien.“
Der griechische Freiheitskampf gegen die Türkei, der zu dieser Zeit in sein entscheidendes Stadium trat, und der Fall des Ottomanischen Reiches spielten eine große Rolle bei den Besprechungen.
Es liegen auch die Ergebnisse der vierten Albury-Konferenz vom Advent 1829 vor. Die Versammelten erörterten bei dieser Tagung besonders die ‘Zeichen der Zeit’, die in der Heiligen Schrift vorhergesagt wurden. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die größten Gerichte England treffen werden, das so gesegnet worden sei, aber sich dieses Segens nicht würdig erwiesen habe.
Nach Ende der Sitzungen wurde zu einer Anzahl von Gesichtspunkten schließlich eine weitgehende Übereinstimmung erzielt. Das war wichtig, da sie nun die gemeinsame Auffassung einer ganzen Gruppe von Männern war. Das Wiederkommen Jesu sollte in den zu erwartenden Diskussionen mit anderen Christen der Kernpunkt sein. Die Versammelten einigten sich auf folgende Punkte (zitiert nach E.-A. Roßteuscher, s.u.):
1. Die gegenwärtige christliche Haushaltung wird nicht durch eine immer mehr zunehmende Kraft und Ausbreitung der Predigt des Evangeliums zuletzt unmerklich in das Gottesreich übergehen, sondern durch schwere Gerichte, die auf die Zerstörung des jetzigen Kirchen- und Staatenwesens abzielen werden, die in ähnlicher Weise enden wie früher die jüdische Haushaltung.
2. Im Verlaufe der auf die Christenheit herabkommenden Gerichte erhalten die Juden ihr Land zurück und werden wieder ein Volk sein.
3. Die Gerichte aber werden vor allem, wenn nicht sogar ausschließlich, die Christenheit betreffen und beginnen bei dem Teil der Kirche, der am meisten begünstigt war und darum auch am meisten verantwortlich ist.
4. Auf die Gerichte wird eine Periode allgemeiner Glückseligkeit für die gesamte Menschheit, ja sogar für die Tiere folgen, eine Periode, die gemeinhin als das Tausendjährige Friedensreich bezeichnet wird.
5. Das Wiederkommen Christi geht dem Tausendjährigen Friedensreich voraus oder tritt zu seinem Beginn ein.
6. Eine große Periode von 1260 Jahren, die unter der Regierung Justinians begann, ist zur Zeit der Französischen Revolution abgelaufen. Von dieser Zeit an begann die Ausschüttung der Zornschalen gemäß der Offenbarung Johannes. Christus wird bald erscheinen. Es ist daher die Pflicht aller, die diese Überzeugungen teilen, sie den Menschen eindringlich vor Augen zu führen.
Es darf dazu bemerkt werden, dass sich die in Punkt 2 genannte Prophezeiung wortwörtlich erfüllt hat: Am 15. Mai 1948 wurde in Palästina der unabhängige jüdische Staat ausgerufen!
Die fünfte und letzte Albury-Konferenz fand nicht während der Adventszeit, sondern im Juli 1830 statt. Das hatte seinen besonderen Grund: In den schottischen Ortschaften Port Glasgow, Greenock und Fernicarry ereigneten sich eine Reihe von unerklärlichen Dingen (Krankenheilungen, Weissagungen, Zungenreden), die als das Auftreten von Geistesgaben gedeutet wurden. Viele Menschen waren Augen- und Ohrenzeugen dieser übernatürlichen Vorgänge. Im Juni 1830 wurde Edward Irving über die Ereignisse aus zuverlässiger Quelle brieflich informiert.
Es ist verständlich, dass dieses plötzliche Auftreten der Geistesgaben in West-Schottland großes Interesse bei den Männern der Albury-Konferenzen erregte. Sie trafen am 5. Juli 1830 in Albury für drei Tage zusammen, um diese Ereignisse zu besprechen und eine Untersuchung zu veranlassen. Am letzten Tag dieser außerordentlichen Konferenz in Albury formulierten sie folgende Resolution:
1. Aufgrund unserer bisherigen Erfolge ist es umso mehr die Pflicht, nach dem Sinne des Herrn, wie er ihn in seinem Worte geoffenbart hat, zu forschen.
2. Wir haben uns wegen des herabgekommenen Zustandes der ganzen Kirche vor Gott zu demütigen.
3. Wir haben besonders für die Weisheit zu beten und müssen die Sünden unserer Brüder bekennen, werden dann aber auch offen gegen die kirchlichen Missbräuche in diesen Ländern zu zeugen haben, wie namentlich gegen die Predigt.
4. Es ist ferner unsere Pflicht, für die Wiedererweckung der Gaben zu beten, welche die erste Kirche besaß, als da sind: Weisheit, Erkenntnis, Glaube, Heilungen, Wunderkräfte, Weissagungen, Geisterunterscheidung, mancherlei Zungen und Auslegung der Zungen (1. Kor. 12).
5. Weiter wird anerkannt, dass wir im Gewissen gebunden sind, über die nach den Berichten im Westen von Schottland vorhandenen Geistesgaben gründliche Nachforschungen anzustellen.
6. Wir sind auch zur Unterstützung der Geistlichen verpflichtet, die wie Campbell, MacLean u.a.m. wegen ihres treuen Zeugnisses angegriffen und in ihren Ämtern gefährdet sind.
7. Insbesondere Herr Irving, der in der letzten Zeit wegen seines Zeugnisses zu einer Zielscheibe für die Ungläubigen und Spötter geworden ist, soll den kräftigsten Beistand aller Gläubigen erhalten.
Bereits Ende August 1830 begannen die unter Punkt 5 geforderten unvoreingenommenen Nachforschungen: Der Londoner Rechtsanwalt John Bate Cardale reiste mit mehreren Begleitern (den beiden Ärzten Dr. John Thompson und Dr. George H. Roe sowie den Damen Emily Cardale, Mary E. Cardale und Miss Gason) für drei Wochen nach WestSchottland. Die Teilnehmer dieser Gruppe konnten die Geistesgaben - das Reden in Zungen und die Deutung dieser Zungenrede - bei neun Personen miterleben. Sie untersuchten diese Vorgänge genauestens und kehrten dann überzeugt nach London zurück.
Eine Folge der Albury-Konferenzen war auch die Herausgabe der prophetisch-theologischen Monatsschrift ‘Morning Watch’ (Morgenwache) unter der Redaktion von John Owen Tudor. Sie erschien vom 1. März 1829 bis zum 1. Juli 1833 und enthält viele Beiträge von Konferenzteilnehmern.
Mit der Schlussresolution nahmen die fünf Konferenzen zu Albury ihr Ende. Es bleibt anzumerken, dass etwa zehn Personen dieses Teilnehmerkreises später zur Apostolischen Kirche alter Ordnung (der Katholisch-apostolischen Kirche) gehörten. Aus diesem Kreis sind die nachmaligen Apostel William Dow, Henry Drummond, John Owen Tudor, Spencer Perceval und Thomas Carlyle hervorgegangen.
R. Ruttorf / H. H. Bussemas (Dortmund)
(erschienen in: "Unsere Familie", 56. Jg., Nr. 22. v. 20.11.1996, S. 43 – 46
und Nr. 24 v. 20.12.1996, S. 44 - 47)
Q u e l l e n v e r z e i c h n i s
- Born, Karl:
Das Werk des Herrn unter Aposteln
Bremen 1974 - Davenport, Rowland A.:
Albury Apostles
London 1970 - Drummond, Henry:
Narrative of the circumstances which led to the setting up of the church of Christ at Albury
Albury 1834 - Froom, LeRoy Edwin:
The prophetic faith of our Fathers
Washington D.C. 1946 (Volume III) - Irving, Edward:
The coming of Messiah in glory and majesty. By Juan Josafat Ben-Ezra,
a converted jew. Translated from the Spanish, with a preliminary discourse
London 1827 - Miller, Edward:
The History and Doctrines of Irvingism or of the so-called Catholic and
Apostolic Church (Volume I)
London 1878 - Roßteuscher, Ernst-Adolf:
Der Aufbau der Kirche Christi auf den ursprünglichen Grundlagen
Basel 1886 (2. Auflage) - Shaw, Plato E.:
The Catholic Apostolic Church - Sometimes called Irvingite. A Historical Study
New York 1946 - Strachan, Charles G.:
The Pentecostal Theology of Edward Irving
London 1973
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