Nachdem Walter Schmidt in der Apostelversammlung am 7. Juli 1960 einstimmig zum neuen Stammapostel gewählt worden war, fand am Sonntag, 10. Juli 1960 der Einführungsgottesdienst in der Kirche Frankfurt/Main-West statt. Dieser Gottesdienst wurde per Postkabel in viele Gemeinden Europas übertragen. Er kann hier als mp3 gehört werden.
Zu Beginn der Segensstunde verlas der dienstälteste Apostel, der Bezirksapostel Schall, ein Schreiben des Apostelkollegiums vom 7. Juli 1960, mit dem die einstimmige Berufung Walter Schmidts zum Stammapostel bestätigt wurde.
Danach wandte sich Walter Schmidt zum ersten Mal als Stammapostel an die Gotteskinder. Er diente ihnen mit dem Textwort aus 2. Petrus 3, 3-6: „Und wisset das aufs erste, dass in den letzten Tagen kommen werden Spötter, die nach ihren eigenen Lüsten wandeln und sagen: Wo ist die Verheißung seiner Zukunft? denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Kreatur gewesen ist. Aber aus Mutwillen wollen sie nicht wissen dass der Himmel vorzeiten auch war, dazu die Erde aus Wasser, und im Was er bestanden durch Gottes Wort; dennoch ward zu der Zeit die Welt durch dieselben mit der Sintflut verderbt."
In seinem Dienen sagte der Stammapostel Schmidt unter anderem:
»Durch den Heimgang unseres lieben Stammapostels ist Gottes Volk m einen neuen Zeitabschnitt getreten. Dieser ist gekennzeichnet durch das Rufen und Schreien der Kinder Gottes.
Wir lesen in der Heiligen Schrift, wie Jesus in den letzten Stunden mit seinem Vater gerungen hat. Von der sechsten bis zu der neunten Stunde war eine Finsternis über das ganze Land gekommen. Um die neunte Stunde rief Jesus laut zu seinem Vater: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Er schrie abermals laut und dann verschied er. Daraus geht hervor, dass auch Jesus, der Sohn Gottes, der Bräutigam unserer Seele, mit Rufen und Schreien diese Erde verlassen hat.
Auch wir haben nun eine Stunde, über die der Herr den Schleier der Trauer gelegt hat. Aber Jesus hat uns auch für den letzten Abschnitt unseres Hierseins auf Erden das Gleichnis von der bittenden Witwe hinterlassen, in dem er sagt: Sollte aber Gott nicht auch retten seine Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's mit ihnen verziehen? Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze."
Dieses Wort hat uns Jesus für unsere Zeit, für den letzten Zeitabschnitt, gegeben und sucht nun alle jene, die da Tag und Nacht rufen. Er hat es uns einst vorgemacht. Ihm blieb kein anderer Ausweg als zu seinem Vater. Wir können sagen: „Andre Zuflucht hab' ich keine, bittend hoff ich nur auf dich. Laß, o laß mich nicht alleine, hebe, Herr, und stärke mich" (Lied 304,2).
Dann denken wir auch an den Rufer aus dem Gleichnis von den zehn Jungfrauen, an den Schreier; es heißt: „Zur Mitternacht aber ward ein Geschrei: Siehe, der Bräutigam kommt!" - Der Stammapostel ist uns seit Jahren als Rufer bekannt. Wir können sagen: „Der Stammapostel ist der Rufer bis in seine Gethsemane-Nacht gewesen."
Wir sind jetzt in eine Gethsemane-Nacht gekommen, die auch der Stammapostel hat durchmachen müssen. Er ist uns vorausgegangen, und es darf die Frage aufgeworfen werden: „Warum hat er uns nicht mitgenommen?" – Wir wollen jetzt im Rufen offenbar werden, auch bei Nacht und nicht nur wie bisher am Tage, als die Nachfolge noch recht erträglich war. Wir lesen auch im Psalm 42, wie der Psalmist sagt - und zwar in einer schweren Lage, in der er und das Volk Israel sich befanden: „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir ... Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht, weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?"
Wir werden hierbei an Abraham erinnert. Als er auf dem Höhepunkt seines Glaubens stand, kam der Herr zu ihm und sagte: „Opfere deinen Sohn!" Das hieß mit anderen Worten: Opfere die dir gegebene Verheißung! Abraham machte sich am anderen Morgen früh auf und nahm seinen Sohn mit nach Morija. Wir wissen nicht, was in der Seele Abrahams vor sich ging, als er sich von daheim verabschiedete. Eines aber wird sicher gewesen sein, er wird sich gesagt haben: „Nun haben meine Frau und ich Jahrzehnte die Verheißung, dass ich der Vater vieler Völker werden solle. Dann musste mir doch auch ein Sohn geboren werden. Jahr um Jahr habe ich gewartet, und nachdem er dann geboren war, kommt der Herr zu mir und sagt: „Opfere deinen Sohn!"'
Ist da in ihm etwas zerbrochen, hat er gehadert, hat er seinen Sohn zu Hause gelassen? Er musste doch Hand an ihn legen! - Nichts von alledem. Abraham glaubte trotz allem, was der Herr von ihm verlangte. Er wird sich auch mit dem Gedanken beschäftigt haben: „Wird nun mein Sohn geopfert, wo bleibt die Verheißung, die der Herr mir gegeben hat?" Aber dennoch nahm der glaubensstarke Abraham seinen Weg nach Morija, auf den Berg, wo später Salomo den Tempel erbaute.
Auch wir fangen nicht an zu zagen. Wir wissen doch den weiteren Verlauf bei Abraham, dass sich alles erfüllte, was der Herr ihm verheißen hatte. Er wollte nur seinen Glauben prüfen. So will auch der Herr in dieser Zeit, auf der letzten Wegstrecke, noch einmal den Glauben der Kinder Gottes prüfen; denn Gott hält, was er verspricht, und was der Herr seinem Eigentum verheißen hat, das wird er erfüllen, nämlich: „Ich komme wieder, um euch zu mir zu nehmen, auf dass ihr seid, wo ich bin." Jesus hat zu allem noch die Begleiterscheinungen seines Kornmens rechtzeitig dem Volke Gottes durch den Mund des Stammapostels verkündet, wie wir dies bis jetzt durchlebt haben. So sind wir das glücklichste Volk auf Erden, trotz der stillen Trauer, die wir im Herzen tragen.
Wir bleiben nicht stehen, sondern schreiten voran. Die Arbeit des Stammapostels wird nach Gottes Willen weitergeführt. Der Kurs, den der Stammapostel eingeschlagen hatte nach dem Willen des Herrn, wird unverändert beibehalten und nicht um einen Grad verlegt. Das erhabene Erlösungswerk am Abend der Kirche Christi im Zeichen der Vollendung ist der lesbare Brief des Stammapostels. So können wir auch ihm über das Grab hinaus das Wort zurufen: „Lieber Stammapostel, wir bleiben bei dem Wort des Herrn, wir bleiben in der Gemeinde, wo er uns durch dich so oft selig gemacht hat!"
Der heimgegangene Stammapostel hat uns in wunderbarer Weise auf den höchsten Stand des Glaubens geführt, und zwar durch das, was ihm der Herr verheißen hatte. Das ist unser Glaube gewesen bis zu dem Augenblick, wo er, der Stammapostel, die Augen geschlossen hat.
Ich bin Zeuge, denn ich war am Dienstag noch bei ihm. Als wir uns verabschiedeten, war er geistig und seelisch in einer überaus großen Frische. Ich habe mich mit den Worten von ihm verabschiedet: „Lieber Stammapostel, es bleibt die Verheißung bestehen, der Herr kommt zu Ihrer Lebenszeit." Da schaute er mich noch einmal und zum letzten Male an, und seine Augen leuchteten: „Ja, das ist gewiss!" Die Apostel und ich schämen uns nicht, dass wir gläubig diese Verheißung hinausgetragen haben in alle Lande.«
Auf diese Überzeugung gingen auch die mitdienenden Apostel Ernst Streckeisen, Federico Lewitus, Friedrich Bischoff und Gottfried Rockenfelder ein. Wenn man in diesem Augenblick auch keine Antwort auf die Frage nach dem Warum geben könne, so könne man doch nichts Besseres tun, als sich dem Manne anzuvertrauen, der nun die Führung übernehmen würde.
Viele Gotteskinder mögen in diesen Tagen von schweren Zweifeln heimgesucht worden sein, sich orientierungslos gefühlt haben. Aber der Glaube ihrer Apostel und des neuen Stammapostels, ihr Festhalten an dem, was der Stammapostel Bischoff gelehrt und vorgelebt hatte, hat so manches verzagte Herz gestärkt. Und diejenigen, die dem Werk Gottesfernstanden, erlebten voller Verwunderung, dass der neue Stammapostel durch die Ereignisse weder wankend noch ängstlich geworden war. Wer das erwartet hatte, sah sich getäuscht. Der Stammapostel Walter Schmidt sagte ohne Wenn und Aber im weiteren Verlauf dieses Festgottesdienstes: Nun kommt es darauf an, dem Lamme zu folgen, wohin es geht. Daran wird der Herr jetzt die Treuen erkennen, und diese folgen weiter der Führung des Werkes Gottes, ihren Aposteln und den Brüdern."
Der liebe Gott bekannte sich zu diesem Wort. Die Getreuen blieben, und das Werk Gottes stand nach dieser großen Erschütterung fest wie je. Mehr noch- es breitete sich aus, so dass noch viele ehrliche Seelen hinzugetan werden konnten.
Der Segen Gottes lag auf seinem Wirken, auch wenn er sein Amt nur schweren Herzens angetreten haben mag. Doch auch hier galt: Wenn du gerufen wirst, bist du da.
Walter Schmidt war keiner, der sich damit aufhielt, den lieben Gott nach dem „Warum" zu fragen. Als das für die Gotteskinder so Unbegreifliche ein trat, war er sehr still; er sprach kaum im Familienkreis, doch um so mehr hat er gerungen und gebetet - und auch innerlich geweint. Für ihn war mit dem Stammapostel Bischoff ein großer Vorangänger gestorben, ein Fels des Glaubens - und nun sollte er selbst zu diesem Felsen werden, der allen von außen und wohl auch von innen anbrandenden Wogen trotzte. Als ein unermüdlicher Hüter, Wächter und Mahner trat er vor das Volk Gottes: „Wir beobachten, wie die Gottlosigkeit gleich einem Pesthauch über die Erde streicht. Die Gottlosen nehmen zu. Beten wir um die Verkürzung der Zeit, um befreit zu werden aus dem Erdenstreit."
Als neuer Stammapostel traf Walter Schmidt als ersten der Spott der Gegner des Werkes Gottes, trafen ihn Schadenfreude und wohl auch Feindseligkeiten derer, die nichts anderes zu sagen wussten als: „Das haben wir ja gleich so kommen sehen. Wie kann man nur so verbohrt sein, jetzt auch noch an die baldige Wiederkunft Christi zu glauben! Das waren und sind doch alles Hirngespinste."
Aber Meinungen von Menschen hatten Walter Schmidt immer unberührt gelassen. Er schwieg dazu und suchte stattdessen um so inniger den Willen Gottes zu erfahren und zu tun. Ihn trösteten dabei die Worte des Stammapostels Bischoff, der einmal einem Apostel anvertraut hatte: „Wenn ich einen Nachfolger bestimmen sollte, dann den Apostel Schmidt." Er hatte Walter Schmidt schon in den letzten Jahren in zunehmendem Maße mit besonderen Aufgaben betraut, bei deren Ausführung sich jener als treu und von großer Festigkeit beseelt erwiesen hatte. Diese Eigenschaften nahmen auch die übrigen Apostel wahr, was ihnen die Nachfolge leicht machte.
Der Bezirksapostel Schall hat später einmal geschildert, wie sehr Walter Schmidt schon, als er zum ersten Mal in den Kreis der Apostel gekommen war, die Herzen aller gewonnen hatte. Er sagte: „Seit dieser Zeit haben wir den nunmehrigen Stammapostel Schmidt bei so vielen Zusammenkünften, die unser unvergessener Stammapostel Bischoff angesetzt hatte, näher kennengelernt. Er hat sich allezeit in einem besonders vornehmen Wesen und geistlichen Leben finden lassen und das Wort des Apostels Paulus verwirklicht: “Ich lebe aber; doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich in dem Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben' (Galater 2, 20). Darin ist er (Stammapostel Schmidt) allen Seelen, die nach der von Gott gewollten Ausreife streben, ein Vorbild und ermutigt sie dazu, ihm nachzueifern." „Sondern Christus lebt in mir ..." - diese Gewißheit befähigte den neuen Stammapostel Walter Schmidt, das Ruder sicher zu führen - von der ersten Stunde an.
(entnommen aus der Broschüre „Walter Schmidt“, Bischoff Verlag, Autoren Susanne Scheibler und Alfred Krempf