Dortmund/Marl. Aus Anlass der Vollendung des 75. Lebensjahres des Komponisten, Musikpädagogen und Musikers Friedhelm Deis am 1. Juni 2005 hatten die Bezirkschöre und -orchester Gelsenkirchen-Buer und Recklinghausen ein anspruchsvolles Programm erarbeitet, in dessen Mittelpunkt einige Werke des Jubilars standen. Ort der Aufführung war das Yehudi-Menuhin-Forum in Marl.
Bodo Saborowski, einer der Schüler von Friedhelm Deis und mittlerweile selbst als Musikpädagoge und Komponist tätig, leitete das Konzert, zu dem auch der Jubilar trotz seiner beeinträchtigten Gesundheit teilnehmen konnte. Im Anschluss war noch Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Jubilar Friedhelm Deis.
Noch beeindruckt von den mächtigen Klängen der Vertonung des Paulus-Textes stellt sich die Frage: Wie sind eigentlich Ihre Kompositionen entstanden?
Nun, durchgängig handelt es sich bei meinen Kompositionen um Vokalvertonungen. Dabei sind viele Gedichte von Ludwig Henrich (*1894 +1949, Bischof in der Gebietskirche Nordrhein-Westfalen von 1939 bis 1949, Anm.d.Red.) und natürlich auch viele Bibeltexte von mir vertont worden. Es waren also zuerst die Texte da, und dann kam die Musik dazu. So habe ich mich immer bemüht, Text bezogen zu komponieren.
Ich wollte mit meinen Vertonungen die Textaussage verstärken, sie hörbar machen, fühlbar, spürbar! Dazu habe ich die Texte studiert, habe versucht, mich hineinzufinden, sie zu verstehen, auch zu fühlen, was der Dichter empfunden haben mag. Und dann habe ich die Melodien ersonnen, Höhen, Tiefen, und Dauer der Töne bestimmt, die Tempi festgelegt, auch die Tonarten und -geschlechter, um mit diesem Mitteln dem Text gerecht zu werden, ja ihn zum Erklingen zu bringen.
Man hat Ihnen gelegentlich vorgeworfen, in sehr konservativer Weise komponiert zu haben, wenig innovativ. Wie gehen Sie mit solchem Urteil um?
Ja, das hat man mir hier und da vorgeworfen. Und in gewisser Weise stimmt das ja auch. Obwohl ich in meiner Oper „Ex Historia Hatneggens“, die ich aus Anlass der 600-Jahr-Feier der Stadt Hattingen komponiert und ihr gewidmet habe, auch mit einer 12-Ton-Reihe gearbeitet habe! (Zwölftonmusik baut nicht auf den klassischen Dur- oder Moll-Tonleitern auf, sondern verwendet alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter. Dabei wird als Motiv eine Tonfolge gewählt, bei der alle zwölf Töne einmal vorkommen. In der Verarbeitung bildet man dann Varianten dieses Motivs. Anm.d.Red.) Allerdings habe ich mich immer gefragt, welchen Zweck meine Kompositionen haben. Welche Zielgruppe sollen sie erreichen? An welchem Ort werden sie aufgeführt? Wer führt sie auf? Wer soll sie verstehen? Kurz – wem soll meine Musik dienen?
Man kann sagen, ich habe Ziel orientiert komponiert. Und zwar im Hinblick auf den Musiker und im Hinblick auf den gottesdienstlichen Rahmen, für den ich die Musik geschaffen habe. Ich hatte nie den Ehrgeiz, mit meinen Kompositionen die Musikgeschichte voran zu treiben, auch nicht die Musik in der Neuapostolischen Kirche zu modernisieren – zu verändern, um es neutral zu formulieren. Meine Intention war immer nur, mit meiner Musik zu dienen.
Sie haben noch eine Zeit erlebt, in der die Musik im Gottesdienst nicht einen solchen Stellenwert hatte, wie das heute der Fall ist …
... und das ist noch gar nicht so lange her. Orchestermusik gab es kaum in Nordrhein-Westfalen. Da sind wir eine etwas andere Entwicklung gegangen als in Nord- oder Süddeutschland etwa. Daher sind meine Werke ursprünglich auch reine Chorkompositionen gewesen für den Gebrauch im Gottesdienst. Und sie sind deshalb auch so komponiert und gesetzt, dass sie von Laienchören, auch in kleineren oder mittelgroßen Gemeinden musiziert werden können.
Ich erinnere mich an einen Jugendtag in der Westfalenhalle in Dortmund. Sie dirigierten erstmalig ein großes Sinfonieorchester. Hermann Engelauf war zu der Zeit Bezirksapostel in Nordrhein Westfalen. Und es gab eine besondere Situation an diesem Tag: Bezirksapostel Engelauf nahm sie brüderlich in den Arm. Was haben Sie damals empfunden?
Das ist schwer zu sagen. Es war ja eine Zeit, in der vielerorts Menschen noch nach äußerlichen Konventionen bewertet wurden. Da hatte man es als Bartträger oft gar nicht so einfach. Und dann als bärtiger Künstler, das schien manchem schon suspekt. Und dann umarmte mich der Bezirksapostel, mich, den vollbärtigen Friedhelm Deis.
Ich habe gespürt, was er mir da ohne Worte signalisieren wollte – eine Geste der Anerkennung. Ja, mehr als eine Geste, er schenkte mir sein Herz. Das tat gut in der Seele, obwohl ich nie um persönlicher Anerkennung und um eigener Ehre willen komponiert und musiziert habe.
Das waren damals die Anfänge einer breit angelegten Orchesterförderung in Nordrhein-Westfalen. Heute sehen wir die Auswirkungen: Viele größere und kleinere Orchester und Instrumentalkreise in den Bezirken und Gemeinden. Musik ist im Gottesdienst zu Hause. Viele junge Menschen haben Instrumente zu spielen gelernt und musizieren mit Freude und Begeisterung.
Und Sie haben einen erheblichen Anteil daran gehabt, dass sich die Orchesterlandschaft in Nordrhein-Westfalen so entwickeln konnte!
Ja, ich konnte da meine Erfahrungen, auch als Musikpädagoge, einbringen. Dafür bin ich dankbar.
Bruder Deis, Sie ließen es vorhin schon anklingen: Es gab auch musikalisches Schaffen außerhalb der Neuapostolischen Kirche. Können Sie das kurz umreißen?
Gerne. Meine berufliche Tätigkeit als Schulmusiker – ich war zuletzt viele Jahre als Musiklehrer an einem Hattinger Gymnasium tätig – brachte auch das eine und andere Werk außerhalb des gottesdienstlichen Gebrauchs hervor. So zum Beispiel die Oper „Ex Historia Hatneggensi“, die zum 600-jährigen Jubiläum der Stadt Hattingen uraufgeführt wurde. Ich nannte sie bereits. Aber der Schwerpunkt lag immer auf dem Schaffen für den Gebrauch im kirchlichen Raum. Dazu zählt auch die dreibändige Orgelschule, die ich als autodidaktischen Einstieg in das Orgelspiel für den Gottesdienstgebrauch konzipiert habe. Mittlerweile sind über 40.000 Exemplare verkauft worden und vor kurzem ist auch eine englischsprachige Ausgabe aufgelegt worden.
Gewiss, ein reichhaltiges Schaffen. Motetten, Kantaten, Sinfonien, Orgelfantasien! Was würden Sie als Ihr zentrales Werk bezeichnen?
Zentral würde ja bedeuten, ein Werk um das herum sich alles andere einordnet. Ich möchte eher sagen: Die Komposition, wohin sich alles musikalische Schaffen entwickelt hat, ist das Oratorium „Der Tempel Gottes“ nach Texten aus der Heiligen Schrift.
Das Oratorium wurde aus Anlass des Besuches von Stammapostel Richard Fehr in Dortmund in der Gemeinde Dortmund-Nord uraufgeführt, richtig?
Nein, das war nicht die Uraufführung. Auch diese Komposition ist wieder aus einem aktuellen Anlass entstanden: dem 100-jährigen Jubiläum der Gemeinde Bochum-Mitte. Es ist auch zu diesem Jubiläum uraufgeführt worden. Und wohl gemerkt: wieder von nicht professionellen Solisten und Musikern in Chor und Orchester.
Aber wissen Sie noch, was der Stammapostel Ihnen sagte nach der Aufführung in Dortmund-Nord unter Ihrem Dirigat?
Der Stammapostel war innerlich sehr bewegt. Es hat ihn gefreut, dass erstmalig auch ein neuapostolischer Komponist ein Oratorium geschaffen hat. Er war gewissermaßen stolz darauf und regte an, mit dem Oratorium auf „Tournee“ zu gehen, es in den Städten im näheren und weiteren Umkreis wieder und wieder aufzuführen.
Und was ist daraus geworden?
Insgesamt ist das Oratorium 20-mal aufgeführt worden und dabei von über 10.000 Menschen gehört worden. Und es hat immer wieder Freude gemacht. Es ist auch als CD-Aufnahme beim Verlag Friedrich Bischoff in Frankfurt erschienen.
Sie sprachen an – und das mit einer gewissen Genugtuung – dass Sie mit nicht professionellen Musikern Projekte realisiert haben. Was empfinden Sie als Musiker, wenn Sie – wie auch heute – in Konzerte gehen, und Ihre Musik hören. Wenn Sie in den Gottesdiensten Laienchöre Ihre Lieder vortragen hören. Wenn Sie hören wie junge, noch lernende Menschen oder gänzlich unausgebildete Stimmen sich mühen an Ihren Kompositionen. Was sagen Ihre Ohren dazu, wenn mal nicht jeder Klang sauber produziert wird?
Ach, da habe ich gar keine Probleme. Nicht, dass ich an der Stelle „keine Ohren“ hätte, wie man mir auch schon mal vorgeworfen hat. Ich bin Schulmusiker und passionierter Musikpädagoge. Mich freut, wenn Menschen es wagen, zu musizieren, ihre Grenzen austesten und erweitern, sich einbringen in die Orchester und Instrumentalkreise in den Bezirken und Gemeinden. Und man muss schon sagen, da ist manch beachtliche Qualität vorhanden, sowohl in der Breite als auch bei manchen Einzelleistungen in der Spitze.
Es hat für mich immer höhere Priorität gehabt, Menschen, Lernende, zur Musik zu führen als perfektionierte Darbietungen zu produzieren. Dass Sie mich nicht missverstehen: Natürlich kann ich auch genießen und mich daran erfreuen, wenn Musik guter Qualität und in klanglich reiner Weise zu Ohren kommt und in die Seele dringt. Aber ich bin nicht so verbildet, dass ich nicht auch genießen kann, wenn Menschen lernen, begeistert sind, sich begeistern lassen, sich einbringen in der musikalischen Gestaltung der Gottesdienste und in großen und kleinen Konzerten – und sie machen ihre Sache durchweg sehr gut.
Toni Däppen, langjähriger Musikberater von Stammapostel Fehr, prägte den Begriff „Der Musiksamariter“ in dem Sinn, auch das gut gemeinte und nicht ganz so perfekte Musizieren mit Freuden hinzunehmen und darauf aufbauend zu fördern.
Diesen Gedanken möchte ich voll unterstützen.
Eine Bitte zum Schluss: Sagen Sie doch der jungen musizierenden Generation, ja eigentlich allen Musik Schaffenden ein paar Worte aus dem Reichtum Ihrer Erfahrungen!
Da will ich nicht große Sätze reden: Macht weiter so! Wo Worte versagen, da fängt die Musik an zu wirken.
Herzlichen Dank für dieses Gespräch.
1. Juni 2005 - Konzert zum 75. Geburtstag von Friedhelm Deis im Yehudi-Menuhin-Forum in Marl (Nordrhein-Westfalen)
1. Juni 2005
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