Noch nie hatte ein Stammapostel seinen Fuß auf afrikanischen Boden gesetzt – bis zum 9. April 1965. An diesem Tag landete der Stammapostel Walter Schmidt mit seiner Gattin, von Frankfurt kommend, auf dem Johannesburger Jan-Smuts-Flughafen, herzlich begrüßt von etwa dreihundert Geschwistern und den Aposteln Bell, Bhulana, Budden, Andreas Fernandes, Hubert Fernandes, Gut, Kreunen, Mitas uncl Njamba. Der Apostel Kitching, der diesen Tag ebenso herbeigesehnt hatte wie seine Mitapostel und Zehntausende von Gotteskindern, war bedauerlicherweise erkrankt, konnte aber einige Tage später in Kapstadt an den Gottesdiensten und Zusammenkünften mit dem Stammapostel teilnehmen.
Der Stammapostel blieb bis zum 27. April in Afrika und besuchte dort die drei Apostelbezirke in den Ländern Südafrika, Sambia und Rhodesien (heute Simbabwe). Er stand nun im 75. Lebensjahr, aber es war sein Wunsch, auch seinen afrikanischen Geschwistern einmal persönlich zu dienen und ihre Gemeinden, ihren Glaubensstand und ihre Lebensverhältnisse aus eigener Anschauung kennenzulernen.
Die Freude, mit der er willkommen geheißen wurde, die Liebe, die man ihm entgegenbrachte, und der Segen, den sein Besuch bewirkte, haben ihn für die Strapazen der langen und weiten Reise entschädigt.
Insgesamt hat der Stammapostel Schmidt während dieses Besuches 43 000 Geschwister bedient und 25000 Flugkilometer zurückgelegt, wobei er zweiundzwanzigmal gestartet und gelandet ist.
Gottesdienstübertragungen durch Postkabel in verschiedene andere Kirchen konnten leider nicht vorgenommen werden. Allerdings waren an manchen Versammlungsorten Nebenhallen angeschlossen, in denen Geschwister an den Gottesdiensten teilnahmen; häufig saßen sie dabei auf dem Fußboden, weil so viele Stühle gar nicht herbeigeschafft werden konnten, wie man benötigt hätte.
Die Worte des Stammapostels mußten in bis zu vier Sprachen übersetzt werden - und zwar in Afrikaans, in die Bemba-, die Tonga- und die Lozi-Sprache. Dieser Aufgabe unterzogen sich sprachbegabte Amtsbrüder, die jeden Satz wortgetreu dolmetschten.
Trotz dieser Unterbrechungen in seinen Predigten aber, so berichtete der Stammapostel später mit einem Lächeln, habe er niemals den Faden verloren, und die Sprachunterschiedlichkeit habe keine ,babylonische Verwirrung' zur Folge gehabt. Besonders erfreut und ergriffen hat den Stammapostel, dass von den Chören, ja, sogar von einigen Gemeinden viele Lieder in deutscher Sprache gesungen wurden. Wie viele Mühe und Arbeit die Apostel, Sänger und Geschwister auf sich genommen haben, um die Texte zu lehren und zu erlernen, ist kaum abzuschätzen. S0 ertönten Lieder wie „Heut' ist der Tag des Herrn", „Mach mich reiner, immer kleiner", „Es harrt die Braut so lange schon” und „Gehe nicht vorbei, o Heiland” dem Stammapostel zu Ehren auf Deutsch, und in seinen persönlichen Reisenotizen hat er das jedesmal mit besonderer Anerkennung vermerkt. Auch die Innigkeit, mit der die Geschwister sangen, hat großen Eindruck auf ihn gemacht.
Vor dem Heiligen Abendmahl betete jeder das „Unser Vater” in seiner Sprache, und der Stammapostel war sehr angerührt von der tiefen Andacht, mit der das Gebet gesprochen wurde. Er hat es vom ersten Augenblick an verspürt: Ob weiße, braune oder schwarze Gotteskinder - sie alle waren verlangend und voller Hingabe, und so schrieb der Stammapostel denn auch nach seiner Rückkehr in dem Bericht über seine Afrikareise: „Ich darf vor Gott bekennen, dass ich überall kindlich gläubige Geschwister angetroffen habe, die in großem Vertrauen zu ihren Aposteln und Segensträgern aufschauen. Bei meinem Dienen habe ich an allen Plätzen bestätigt gefunden: Ein Glaubensgrund, ein Liebesbund, ein Herz und eine Seele. ”
Dieser Glaubensgrund offenbarte sich auch in dem Opferwillen der vielen Eingeborenen, die wahrlich nicht in glänzenden finanziellen Verhältnissen lebten. Diese Geschwister haben weder Kosten noch Anstrengungen gescheut, um ihren Stammapostel zu sehen und zu hören. Es gab welche, die tagelange Wege von tausend bis tausendfünfhundert Kilometer zurückgelegt haben, um an einem dieser Gottesdienste teilnehmen zu können, und manche haben die für sie ungeheure Summe von umgerechnet über tausend Mark aufgebracht, um dies zu ermöglichen.
Freilich waren solche Reisen nicht allen vergönnt, denn viele Geschwister in Afrika leben in einer für uns schwer vorstellbaren Armut, in Hütten, in denen es kein Licht und kein Wasser und nur wenig Raum gibt. Aber gerade diese Geschwister in ihren bescheidenen Verhältnissen sind die Bestätigung dafür, dass Geistgetaufte auch in der größten Armut voller Selbstlosigkeit und Bescheidenheit treu sein und auf den Herrn warten können.
Der Stammapostel Schmidt begann die Gottesdienste in Afrika mit den Worten: „lch begrüße euch als unsere Brüder und Geschwister. Zwischen euch und uns ist kein Unterschied. Ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen. Ich stehe vor euch als einer, der euch nicht fremd ist. Ihr seid mir auch nicht fremd. ”
Bei einem Gottesdienst in Lusaka, der ausschließlich für Eingeborene gehalten wurde, ging der Stammapostel auf die Begebenheit aus Apostelgeschichte 8, 26-39 besonders ein. Liebevoll machte er seinen farbigen Geschwistern klar, dass der Geist des Herrn seinerzeit Philippus beauftragt habe, sich zu der Straße zu begeben, wo der Kämmerer aus dem Mohrenlande vorüberzog, um jenen durch Philippus belehren zu lassen. Dem lieben Gott sei es nicht darauf angekommen, dass dieser Kämmerer von schwarzer Hautfarbe gewesen sei, sondern dessen Sehnen und Suchen nach Gott sei die Ursache gewesen, dass der himmlische Vater seinen Knecht Philippus ausgesandt habe.
Bei einem Zusammensein mit den Aposteln beklagte der Apostel Hubert H. Fernandes, dass es in seinem Bereich erhebliche organisatorische Schwierigkeiten gäbe. So habe er beispielsweise einmal zwanzigtausend Personalienblatt-Formulare verteilen lassen, damit sie in den Gemeinden ausgefüllt würden. Aber er habe nur etwa zwanzig Prozent davon zurückerhalten - und die darin enthaltenen Angaben entsprachen auch nicht immer der Richtigkeit.
Der Stammapostel tröstete ihn mit den Worten, dass seinerzeit bei dem Kämmerer aus dem Mohrenlande die Ausstellung von Personalienblättern eine nebensächliche Sache gewesen wäre. Das eine stünde aber fest: Die Eintragung ihrer Namen im Buch des Lebens sei durch den Griffel des Heiligen Geistes erfolgt.
Während seines Afrikabesuchs hat der Stammapostel Schmidt neun Gottesdienste, zwei Gottesdienste für Amtsträger und einen Gottesdienst für die Bezirksämter gehalten. In Johannesburg sonderte er am 11. April den Apostel Budden zum Bezirksapostel aus, um den hochbetagten Bezirksapostel Kreunen zu entlasten, was bei diesem große Freude auslöste; er sagte: „Ich weiß wohl, was für das Werk Gottes gut ist."
Vor seiner Abreise nach Port Elizabeth waren der Stammapostel und seine Gattin noch zu Gast im Haus des Apostels Kreunen, wo sie liebevoll aufgenommen wurden.
Weitere Stationen seiner Reise waren Kapstadt, wo der Stammapostel am Karfreitag und zweimal am Ostersonntag den Geschwistern in der Goodwood Showgrounds Halle diente, sowie Salisbury (Harare), Lusaka und Livingstone.
Wenn es zeitlich möglich war, kehrten der Stammapostel und seine Frau gern für einen Nachmittag oder Abend bei den afrikanischen Aposteln ein. Dann wurden jedesmal frohe Stunden verbracht, zu denen sich auch immer wieder Sänger einfanden, um durch ihre Lieder dem Beisammensein einen festlichen Rahmen zu geben.
Besonderen Eindruck auf den Stammapostel machten die fünf Kinder des Apostels Bhulana. Als er in dessen Haus kam, sahen sie ihn mit einem Ausdruck an, den er wie das Leuchten aus Engelsantlitzen bezeichnete.
Am 26. April trat Walter Schmidt die Rückreise an, zunächst von Livingstone, wo er auf das liebevollste von einem Chor verabschiedet wurde, nach Salisbury. Dort kehrte er noch einmal als Gast im Haus des Apostels Andreas Fernandes ein. Am nächsten Tag ging es dann über Johannesburg im Direktflug nach Frankfurt zurück, wo seine Maschine am Morgen kurz vor 8 Uhr auf dem Rhein-Main-Flughafen landete.
Neunzehn Apostel hatten sich dort eingefunden, um die Heimkehrer zu begrüßen, und in allen Herzen stand große Dankbarkeit für die Bewahrung auf dieser langen und beschwerlichen Reise und den Segen, der dabei gewirkt worden war. Ein Segen, der wenig später von dem Bezirksapostel Kreunen bestätigt wurde, als er dem Stammapostel schrieb und ihm noch einmal für sein Wirken auf afrikanischem Boden dankte. Darin bekennt der 85jährige Gottesknecht, der am 17. Oktober 1965 in den Ruhestand versetzt wurde, dass unter den afrikanischen Geschwistern seit dem Besuch des Stammapostels Einheit und Liebe gewachsen seien und die Gottesdienste weitaus eifriger als vordem besucht würden. Auch die Brüder gingen mit noch mehr Kraft und Eifer an die Arbeit und seien voller Freude.
Die vielfältigen und bewegenden Eindrücke, die Walter Schmidt auf seiner Afrikareise gewonnen hatte, faßte er in einem Beitrag für den Kalender „Unsere Familie” für das Iahr 1966 zusammen. Darin schrieb er: „Durch meine Reise nach Afrika war es mir vergönnt, mit Menschen zusammenzukommen, die, äußerlich gesehen, eine Schicksalsgemeinschaft bilden und sich den Lebensbedingungen angepaßt haben. In Südafrika, Rhodesien bis hinauf nach Sambia boten sich meinem Auge Landschaften, die mit europäischen Verhältnissen unvergleichbar sind. Auch Menschenrassen in ihren unterschiedlichen Stämmen geben zu erkennen, dass sie eine Welt für sich darstellen. Farbige und Eingeborene lieben ihre Heimat, ihre Sitten und Gebräuche, pflegen ihren eigenen Lebensstil und achten trotz aller Armut und Bescheidenheit auf ihre Stammeswürde.
Und dennoch! -ich habe bei diesen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe nicht auf ihr Äußeres gesehen, sondern mich mit denen verbunden, die in ihrer Seele ein Geheimnis hüten wie ein Diadem. Das waren unsere Glaubensgeschwister. Unter diesen farbigen und eingeborenen Gotteskindern, die sich nur in ihrer Stammessprache unterhalten - es gibt unter ihnen viele Sprachen -, durfte ich die Freude haben zu erleben, dass sich das Wort aus Apostelgeschichte 2, 4 erfüllte: ,...sie predigten mit andern Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen.‘
Mir war es zeitweise so, als sei ich in die Zeit der Urkirche versetzt gewesen. Sie waren durch die Wiedergeburt aus Wasser und Geist neue Menschen geworden und unterschieden sich in angenehmer Weise auffallend von den übrigen ihres Stammes. Man fühlte, sie waren Brüder und Schwestern in Christo, haben Jesu Wesen angezogen und offenbaren sich in seinen Tugenden. Es ist mir gar nicht schwergefallen, mich diesen fremdrassigen Geschwistern als ihr Bruder vorzustellen.
Als ich ihnen dann erklärte, dass auch unsere Glaubensgeschwister in Europa und den übrigen Erdteilen sie gleichso betrachteten, leuchteten ihre Augen. Ihre Freude darüber war unvorstellbar groß, dass sie nun aus meinen Munde hörten: , _ .. ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater unser aller, der da ist über euch allen und durch euch alle und in euch allen (Epheser 4, 4-6).
Sinnend habe ich darüber nachgedacht, wie unermeßlich groß die Gnade Gottes ist, sein Eigentum aus allerlei Geschlecht und Zunge und Volk und Heiden über den Weg der Erwählung zu sammeln. Wie oft habe ich dieses Wort nach Offenbarung 5, 9 gelesen; nun durfte ich die Wirklichkeit erleben.”
(entnommen aus Biografie Stammapostel Walter Schmidt)
5. Januar 2017